Piezoelektrische Anregung beim automatisierten Entpulvern: 3D-gedruckte Medizinteile

Anwenderbericht von 3D ADEPT MEDIA untersucht die neue selbstregelnde Ultraschallanregung in der SFM-AT350-E.


Die automatisierte Entpulverung is nach wie vor die Kernkompetenz von Solukon. Für diesen Artikel wurde ein Entpulverungstest auf dem neuesten System des Unternehmens – der SFM-AT350-E für mittelgroße Teile bis zu 60 kg – in Zusammenarbeit mit dem Swiss m4m Center durchgeführt, einem Technologietransferzentrum, das AM für die Medizin- und Dentalindustrie einsetzt.

Einblicke in einen Entpulverungstest 3D-gedruckter Medizinteile

Ist die grundsätzliche Entscheidung gefallen, ein automatisiertes Entpulverungssystem für (medizinische) 3D-Druck-Teile zu beschaffen, kann der nächste Schritt ziemlich stressig sein: die richtige Maschine zu kaufen, die die Sicherheit Ihrer Produkte und Ihres Personals gewährleistet, das Risiko von Produktfehlern verringert und vor allem den Industrienormen entspricht. Aus diesem Grund haben wir in einem anderen Artikel die technischen Merkmale erörtert, die ein automatisches Pulverentfernungssystem aufweisen muss. Je weiter der Markt voranschreitet, desto mehr neue Funktionen werden entwickelt und desto komplexer und strenger werden die Anforderungen der Kunden. An diesem Punkt kann eine ganzheitliche Analyse in From eines umfassenden Entpulverungstests bei der Entscheidungsfindung helfen und die Eignung des Systems für den Einsatz in einer bestimmten Branche oder für eine bestimmte Anwendung bestätigen. Um zu verstehen, wie ein solcher Test durchgeführt wird, haben wir die Solukon Maschinenbau GmbH um etwas Ungewöhnliches gebeten: Einblicke in einen Entpulverungstest zu geben, der für einen ihrer Kunden aus der Medizin- und Gesundheitsindustrie durchgeführt wurde.

Die brandneue SFM-AT350-E und Details des Use Case

Entwickelt für die Nachbearbeitung additiv gefertigter Bauteile, ist die SFM-At350-E eine spezielle Version der SFM-AT350. Vorgestellt auf der letztjährigen Formnext 2023 beinhaltet die Maschine drei zentrale Neuheiten: Kompatibilität mit der intelligenten Entpulverungssoftware SPR-Pathfinder®, ein erweitertes Digital-Factory-Tool sowie die piezoelektrische Anregung. Während die SPR-Pathfinder® Software und das Digital-Factory-Tool als Add-On auch für die Standard SFM-AT350 verfügbar sind, handelt es sich bei der piezoelektrischen Anregung um ein spezielles und neuartiges Feature. Dabei setzt die Anregung unmittelbar am Drehteller des automatisierten Entpulverungssytems an, sodass das Bauteil mühelos und präzise in die optimale Schwingungslage versetzt werden kann. Die ultrahohen Frequenzen der elektrischen Anregung liegen dabei deutlich über der schädlichen Eigenfrequenz des Bauteils. Indem sich die Frequenz ständig selbst kontrolliert und regelt, werden ein Aufschwingen und damit die Bauteilbeschädigungen vermieden. Im Test wurden verschiedene medizinische Anwendungen entpulvert, die von Swiss m4m zur Verfügung gestellt wurden: Hüftpfannen, Wirbelsäuleneinsätze und medizinische Werkzeuge. „Hüftpfannen sind eine typische Applikation. Die charakteristischen Gitterstrukturen ermöglichen das Einwachsen ins Gewebe. Ebenso typisch sind die Wirbelsäuleneinsätze zur Versteifung der Wirbelsäule (z.B. bei Bandscheibenvorfällen). Die Werkzeuge sind Prototypen für das Testen im Nassraum, deren komplexe Stützstrukturen am schwierigsten zu entpulvern sind“, sagt Marco Flury, Project Manager bei Swiss m4m. Der durchgeführte Entpulverungstest liefert Erkenntnisse zur Entpulverung dieser Anwendungen sowie zur Wirksamkeit der piezoelektrischen Anregung.

Die SFM-AT350-E mit piezoelektrischer Anregung.

Der Entpulverungstest: 6 Schritte

Laut Hemank Raj, Prozessentwicklungsingenieur bei Solukon, erfolgt bei einem Entpulverungstest zunächst eine Analyse der Maschinen- und Bauteildaten. Dann erfolgt die visuelle Kontrolle vor der Renigung, die Durchführung des Reinigungsvorgangs, die Bewertung der Reinigungsergebnisse und die visuelle Kontrolle nach der Entpulverung.


1. Bezüglich der Konfiguration des Entpulverungssystems ist es wichtig zu beachten, dass es sich bei der verwendeten Bauteillegierung um ein nicht-reaktives Material handeln. Demnach wurde in einer nicht-inerten Atmosphäre entpulvert.


2. Detaillierte Bauteilinformationen zur Verfügung gestellt von Swiss m4m:

BauteilabmessungenØ60mm Hüftpfannen mit Gitterstrukturen (0.3-0.9 mm Porengröße)

23 x10 x10 mm Wirbelsäuleneinsätze (0.3-0.9 mm Porengröße)

Die größten Bauteile sind medizinische Werkzeuge mit ca. 70 mm Höhe (Z-Achse) mit komplexen, verworrenen Stützstrukturen (kleinster Durchmesser <1 mm).
BauplatteRunde Bauplatte; TruPrint 2000

Durchmesser 204 mm

Dicke 23 mm
Gewicht inkl. BauplatteCa. 13 kg
MaterialEdelstahl 17-4 PH
Die Bereiche, die am schwierigsten zu entpulvern sind, sind oben aufgeführt.

3. Die Sichtkontrolle ergab, dass es keine sichtbaren Schäden und keine Pulverklumpen auf der Bauplatte gab, was bedeutet, dass das Material keine Feuchtigkeit aufgenommen hat. Die innenliegenden Geometrien der Teile schienen vollständig mit Pulver gefüllt zu sein.


4. Für die Reinigung wurde die Bauplatte auf der Schwenkvorrichtung mit vier Klemmen fixiert. Der gesamte Reinigungsvorgang dauerte 17,5 Minuten und umfasste das Bauteilladen, die Reinigung im Automatikmodus, das Abblasen mit Druckluft, die Bauteilüberprügung und die -entnahme. Der Ablauf des piezoelektrischen Entpulverungsvorgangs ist damit identisch zur konventionellen Entpulverung mit pneumatischer Anregung. Raj betont andere zentrale Vorteile „Da sich die Anregungsfrequenz stetig selbst regelt, müssen Anwender selbst keine Anwendungsfrequenzen mehr festlegen. Zudem betrug die Maximallautstärke des Entpulverungsvorgangs nur 53,6 dB (zum Vergleich: Normales Gespräch = 60 dB), was sehr leise ist. Ein weiterer Vorteil ist, dass wir einen minimalen Inertgasverbrauch haben.“

Wie oben beschreiben, zeigte der Test, dass die piezoelektrische Anregung das Bauteil in ultrahoher Frequenz anregt. Laut Raj ist die Beschleunigung enorm, die Amplitude aber gleichzeitig minimal. Durch die Beschleunigung bei dieser Frequenz verliert das Pulver die Haftung (quasi wortwörtlich den Boden unter den Füßen) und rutscht von der Oberfläche. Der Test zeigt zudem, dass die SFM-AT350-E das ideale Entpulverungssystem für empfindliche und grafile Strukturen ist. „Mit dem Digital-Factory-Tool haben wir außerdem Zugriff auf alle relevanten Entpulverungsdaten (z.B. Temperatur in der Kammer, Luftfeuchtigkeit und alle kundenspezifischen Voreinstellungen – das ist enorm wichtig für datenintensive Branchen wie die Medizintechnik“, fügt Raj hinzu.


5. Nach der Reningung führte das Team eine Sichtkontrolle sowie eine Sauberkeitskontrolle mit Druckluft durch. Es wurden keine Pulverreste gedunden und auch das anhaftende Pulver auf der Bauteiloberfläche konnte durch Abblasen entfernt werden. Dennoch ist stets eine Endreinigung mit Ultraschall empfohlen, um Pulverreste definitiv ausschließen zu können, die bei der Nutzung des Bauteils oder in weiteren Nachbearbeitungsverfahren Probleme verursachen könnten.


6. In der Sichtkontrolle zeigten sich keine Beschädigungen oder Pulverreste. Alle Bauteile waren nach wie vor fest mit der Bauplatte verbunden.

Marco Flury, Project Manager bei Swiss m4M and Hemank Raj, Prozessentwicklungsingenieur bei Solukon

Fazit

Zuallererst ist es wichtig zu betonen, dass sich die Ergebnisse dieses Test ausschließlich auf die getesteten Geometrien beziehen. Das heißt, Anwender sollten sich im Vorfeld der Entpulverung genau mit der zu entpulvernden Geometrie und techischen Spezifikationen auseinandersetzen. Obwohl die SFM-AT350-E und seine piezoelektrische Anregung nachweislich Vorteile gegenüber der konventionellen Entpulerung mit pneumatischer Anregung haben, sind einige weitere Aspekte für 3D-gedruckte Teile zu beachten, die in anderen Branchen oder für andere medizinische Anwendungen hergestellt werden. So erklärt Raj beispielsweise: „Im Vergleich zur pneumatischen Anregung mit Turbine oder Klopfer ist die Beschleunigung und die Frequenz um ein Vielfaches höher, die Amplitude wesentlich geringer. (Deshalb sieht man auch keine Vibration/Bewegung des Bauteils bei der Anregung). Die Anregungsfrequenz liegt zwischen 30 kHz und 38kHz. Das heißt, wir regen hier weit jenseits der Eigenfrequenzen der Bauteile an. Ein Aufschwingen und eine Beschädigung in der Resonanzfrequenz wird damit vermieden.“So erklärt Raj beispielsweise: „Im Vergleich zur pneumatischen Anregung mit Turbine oder Klopfer ist die Beschleunigung und die Frequenz um ein Vielfaches höher, die Amplitude wesentlich geringer. (Deshalb sieht man auch keine Vibration/Bewegung des Bauteils bei der Anregung). Die Anregungsfrequenz liegt zwischen 30 kHz und 38kHz. Das heißt, wir regen hier weit jenseits der Eigenfrequenzen der Bauteile an. Ein Aufschwingen und eine Beschädigung in der Resonanzfrequenz wird damit vermieden.“

Neben der Möglichkeit, einen geräuscharmen Entpulverungsprozess zu gewährleisten, der selbstregulierenden Schwingungsanregung und dem minimierten Druckluftverbrauch zeigt dieser Test Vorteile des Entpulverungssystems für die Zertifizierung für eine medizinische Produktionsumgebung auf. Nicht zu vergessen, dass das Digital-Factory-Tool und die SPR-Pathfinder® Software zwar optionale Tools sind, aber dennoch interessant, um das Beste aus der Maschine herauszuholen. „Mit einer eigens entwickelten Technologie konnten wir in der SFM-AT350-E eine Endlosrotation des Drehtellers erreichen und damit die uneingeschränkte Nutzung der SPR-Pathfinder Software ermöglichen“, so Andreas Hartmann, CEO/CTO bei Solukon.

„Der Test lässt uns annehmen, dass der Reinigungsprozess ähnlich gut mit Titanlegierungen ablaufen würde. Die Anregungsform ist ideal für fragile Bauteile. Wenn ein Reinigungsvorgang sehr schnell in unter 7,5 Minuten abgeschlossen ist, kann mit einer Anlage eine sehr hohe Taktung erreicht werden. Nehmen wir an, dass Be- und Entladen zusammen maximal 10 Minuten dauern, kann man bis zu vier Jobs in der Stunden mit einem Entpulverungssystem planen“ (vorausgesetzt, es braucht keine inerte Atomosphäre, wofür extra Zeit zur Flutung sowie Türhaltezeiten berücksichtigt werden müssen), fasst Raj die Ergebnisse zusammen.

3D Adept Mag: Ganzes Magazin

Zur gesamten Ausgabe des 3D Adept Magazins inkl. Solukon-Artikel geht’s hier.

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